Samstag, 26. Januar 2013

immer auf die schwachen

als ich gestern mit meiner freundin durch die osnabrücker innenstadt lief, wurden wir zeugen, wie sich ein ca. anfang dreißig-jähriger vor seinen kumpels lautstark über einen flaschensammler lustig machte. Dieser suchte mit einem stock und einer taschenlampe bewaffnet in einer öffentlichen mülltonne mit kleiner öffnung nach pfandflaschen. „ey, mann, was suchst du da an meiner mülltonne? Ha, ha, ha. Erst mal fragen, bevor du da den kopf reinsteckst. ha, ha, ha.“ der pöbelnde lachte am lautesten über seinen witz. Der flaschensammler ging gesenkten hauptes schnell weiter.
Ich blieb stehen und wollte mich gerade aufregen, als meine freundin mich am arm wegzog. „immer auf die schwachen“, sagte ich meiner freundin. „jeder geistig minderbemittelte findet immer noch einen, der vermeintlich unter ihm steht und über den er glaubt, sich lustig machen zu können.“
auf dem weg nach hause fiel mir in diesem zusammenhang mein früherer fußballtrainer ein. Als ich mit neun jahren im verein fußball spielte (wie sich das damals gehörte), war unsere mannschaft irgendwann derart angewachsen, dass sie geteilt werden musste, um noch effektives training zu ermöglichen. Die guten spieler trainierten fortan unter herrn stolzenberg (dieser hieß wirklich so und machte seinem namen auch alle ehre) auf dem schicken vereinsgelände eines großen vereins. Wir, die schlechten spieler, trainierten von da an auf einem acker fernab der stadt unter bernd. In jungen jahren schon dem gesellschaftlichen leistungsprinzip zum opfer gefallen. Genau wie wir jungen wenig erfolg versprechenden fußballer war auch unser trainer bernd, nur zweite oder dritte, wenn nicht gar vierte wahl. Stets im trainingsanzug, ungepflegtes äußeres, braune zähne, dürftiger wortschatz und das ganze jahr auf einer mofa unterwegs. Die fußbälle brächte er in seinem mofaanhänger mit. nachträglich erinnert er mich immer ein bißchen an die von martin semmelrogge grandios gespielte figur „schlucke“ im film „BangBoomBang“.
Jeder der älteren und erwachsenen hielt bernd für einen loser. Dabei war auf ihn stets verlaß. Er kam immer und pünktlich zum training, trainierte uns so gut er konnte, gab uns ein mitspracherecht beim training und hat uns nie angebrüllt oder anderweitig schlecht behandelt.
ich glaube, er war froh, dass wir vorpubertären ihn normal behandelten. Seine verwandlung vollzug sich, wenn wir nach den spielen noch in die vereinskneipe gingen. Auf dem platz uns gegenüber ganz normal, gut gelaunt und in seinem element, in der vereinskneipe wortkarg, eingeschüchtert und unsicher.
Einmal hat er mich, ich war zwischenzeitlich zum torwart aufgestiegen, beauftragt, neue torwarthandschuhe zu kaufen. Hierzu gab er mir einen 100-DM-Schein und sagte, den Rest könne ich ihm ja dann zurückgeben. Leider habe ich dann für 99,90 DM die teuersten Reusch-Torwarthandschuhe gekauft (auch noch zwei nummern zu groß), die ich in einem sportgeschäft gefunden habe. Angeblich spielte bodo illgner mit den dingern und bodo illgner war für jeden torwart damals ein großes vorbild. Ich wette, dass bernd am ende diese handschuhe von seinem eigenen knappen geld bezahlen musste und es tut mir heute noch leid. Ich selbst habe mir nämlich später für den privaten gebrauch ein paar uhlsport-torwarthandschuhe für 29,90 DM gekauft, die ihren zweck auch voll erfüllt haben.
Ich will eigentlich nur sagen, dass bernd einfach nur ein armer, verlässlicher, netter kerl war, der diese abweisende haltung und überheblichkeit ihm gegenüber nicht verdient hatte.

Ein ähnlicher fall begegnete mir als pubertärer zuschauer bei 1. und 2. Liga-Basketballspielen. „Rübe“ war ein übergewichtiger damals wohl mitte dreißigjähriger, dessen körperform an eine rübe oder birne erinnerte, der irgendwo in einem betreuten wohnheim wohnte, den reiz des Fan-daseins für sich entdeckt hatte und fortan bei basketballspielen, den „wischer“ machte; also denjenigen, der die schweißflecken auf dem hallenboden wegwischte, wenn ein spieler hingefallen war.
Natürlich sah es lustig aus, wenn dieser ungeschickte, unförmige mensch, sich ganz der wichtigkeit seiner aufgabe bewusst, nach einem zeichen durch den schiedsrichter auf das feld stürmte und sehr gewissenhaft wischte. Meistens musste ihn der schiedsrichter auch wieder vom feld schicken, da rübe seine aufgabe sehr ernst nahm und somit auch gut machen wollte. Wir jugendlichen halbstarken, ca. 15 jahre alt, begleiteten rübes auftritt, mit „rübe, rübe, rübe“ rufen, die kein zeichen der hochachtung waren. Damals wies uns leider niemand zurecht. Auch manch erwachsener entblödete sich nicht, sich über rübe lustig zu machen.
Aus heutiger sicht war rübes beteiligung sicher ein schönes beispiel für die gelungene integration von körperlich oder geistig beeinträchtigten menschen, in die welt der sogenannten „normalen“, von denen ich die wenigsten (mich eingeschlossen) für normal halte. Noch schöner wäre es sicher ohne die häme und den spott gewesen und heute schäme ich mich dafür. Wahrscheinlich hätte es nicht weniger witzig ausgesehen, wenn helmut kohl auf turnschuhen mit einem wischer angerannt gekommen wäre, um schweißflecken wegzuwischen. Bei dem hätte kaum jemand gelacht. Die arschkriechenden cdu-funktionäre hätten wahrscheinlich eher noch voller ehrfurcht applaudiert.

Ich will eigentlich nur sagen, und erhebe damit mal wieder den belehrenden zeigefinger, dass es mich stört, wenn andere leute sich über vermeintlich schwächere (dümmere, ärmere, gescheiterte usw.) lustig machen. Außerdem hoffe ich, dass ich mich in entsprechenden situationen selbst an diesen text erinnere und dementsprechend handele. Amen.

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