Dienstag, 20. November 2012

meine oma

ich sitze in selbstgestrickten wollsocken meiner oma vor dem laptop und denke an sie. Meine oma war echt eine wucht. In gewisser weise hatte sie ähnlichkeit mit miss marple. Sowohl vom aussehen her als auch hinsichtlich dieser verschmitzten, schelmischen art. seit ihrem tod vor über 3 jahren vermisse ich sie.
was kann ich über sie erzählen?
Als erstes kommt mir in den sinn: Sie hatte eigentlich immer gute laune, lachte viel und liebte das leben. Obwohl sie bestimmt kein leichtes gehabt hat: sie wuchs mit 8 geschwistern auf einem bauernhof in der eifel auf. ihre mutter starb als sie neun jahre alt war; mit zehn wurde sie zu einem fremden bauern geschickt, um dort für kost und unterkunft zu arbeiten, da der eigene kleine hof nicht alle ausreichend ernähren konnte. uns erzählte sie, dass sie immer gern zur schule gegangen ist und eine der besten im kopfrechnen war. Am rande bemerkt: Zu den besten zu gehören und zu gewinnen war meiner oma ihr ganzes leben lang wichtig. Trotz des harten lebens (im winter gab es manchmal fast nichts außer kartoffeln zu essen) und der schweren körperlichen arbeit war es doch ein sehr lustiges völkchen, was dort in dörfern in der eifel, dicht an der grenze zu luxenburg lebte. Sie machten gern witze, lachten viel und liebten es einander streiche zu spielen.
Meine oma war auch sehr tolerant: nie hat sie sich über die jugend von heute beschwert. wenn meine oma einen punk mit irokesenschnitt sah, dann sagte sie diesem gleich:“ das sieht ja toll aus. Darf ich mal anfassen?“ nur das die heutige jugend so wenig lacht, störte sie sehr. „die haben doch fast alles; warum wirken die so unglücklich?“
Sie war auch wie ihre ganze sippe sehr gesellig. Meine oma liebte es karten zu „kloppen“ (doppelkopf, skat, schwimmen usw.); ich werde manche kartenspielerredewendung nie vergessen: „mitnehmen“ sprach der polizist; „man kann se nich mit schlafen nehmen“ (die trümpfe); „karte oder nen stück holz“ usw.. am besten ging es ihr natürlich, wenn sie gewann.
Als mein bruder und ich noch kleiner waren, erzählte sie uns gern geschichten, insbesondere von „jahn und marei“: diese geschichten kannte nur meine oma und ich habe sie nie wieder woanders gehört. Natürlich waren ihre geschichten aus dem wahren leben für uns enkel später spannender: so erzählte sie bspw. wie zwei brüder versucht hätten, den dorflehrer im ersten stock aus dem fenster zu schmeißen, weil dieser tags zuvor ihre schwester so stark geschüttelt hatte, dass dabei ihr kleid zerrißen war. Überhaupt wurde damals noch viel geprügelt: so hat auch meine oma ab und an in der schule den rohrstock des lehrers über die finger bekommen und verzog auch über 60 jahre später immer noch schmerzverzerrt das gesicht.
Eine andere geschichte besagte, dass ihr bruder nachts als es dunkel war, sich mit einem zechkompan nebeneinander an den wegesrand hockten, um ihr großes geschäft zu verrichten. Dabei zog der brudern meiner oma dem betrunkenen zechkompan dann heimlich die unterhose derart lang, dass dieser sich in die eigenen klamotten schiß. Solche rustikalen spässe liebte man.
Es gab aber auch echte heldengeschichten: so erblickte ein bauer aus der nachbarschaft einen jungen stier, der einen achtjährigen jungen auf die hörner genommen hatte (das eine horn hatte sich wohl durch den unterkiefer des jungen gebohrt, so dass dieser wie an einem haken festhing), rannte dorthin und schlug anschließend mit einem herausgerissen zaunpfeiler den jungen bullen k.o.. der junge überlebte den vorfall. Der jungbulle nicht. Er kam direkt danach zum schlachter. Und von solchen tollen geschichten hatte meine oma eine menge auf lager.
Genauso gierig wie nach dem leben, nach freude und abwechslung war meine oma nach obst: sie ist die einzige, die ich kenne, die jemals 10 bananen am stück gegessen hat. Oder zwei kilo kirschen. Oder unmengen birnen oder äpfel. Unter den dadurch hervorgerufenen flatulenzen hatte dann mein opa zu leiden, sie unter verdauungsproblemen.

Ihre letzten jahre waren stark vom kampf gegen den krebs bestimmt: erst wollte sie auf die chemo-therapie verzichten, aber sie lebte doch viel zu gern, um sich kampflos dem krebs zu ergeben, und stand die chemo-therapie mit ihren schweren nebenwirkungen dann sehr tapfer durch; sie hat sich fast nie beklagt; war nur ärgerlich, dass sie das von ihr geliebte obst und gemüse nicht mehr essen durfte (bzw. nicht mehr die vorherigen unmengen). Oft hielt sie sich nicht an den ernährungsplan und hatte dann entsprechende probleme.
Auch an das ärztliche fahrradfahrverbot hielt sie sich nicht: trotz mangelnder sicht und einem wackligen fahrstil war sie auch in ihren letzten jahren mit dem fahrrad bei wind und wetter unterwegs. Meine eltern machten sich sorgen, wollten ihr diese körperliche aktivtität aber auch nicht nehmen. Natürlich kam es zu spektakulären stürzen, bei welchen zum glück nie etwas ernstes passierte. So fuhr meine oma mit vorliebe in urplötzlich auftauchende straßenbaustellen hinein und blieb irgendwo hängen oder stecken und flog dann über den fahrradlenker. Anschließend erzählte sie uns beim sonntäglichen kaffeetrinken voller stolz, dass augenzeugen über ihr sportliches abrollen entzückt gewesen wären.
Auch wenn alters- und krankheitsbedingt ihre kräfte immer weiter nachließen, war sie beleidigt, wenn jüngere menschen sie auf dem fahrrad überholten. An einem für sie guten tag biss sie dann die zähne zusammen, trat in die pedale und schaffte es manchmal noch, eine dreißig jahre jüngere frau ihrerseits wieder zu überholen (wenn vorher keine baustelle auftauchte).

Diese freude am leben ließ sie sich auch von der krebserkrankung nicht nehmen. Auch mit achtzig jahren hopste sie noch – soweit es die kräfte zuließen - um zwölf uhr auf familienfeiern zwischen den jungen leuten auf der tanzfläche herum. Diesen tanz, bei welchem man seine arme auf den schultern der nachbarn ablegt und dann die beine nach links und nach rechts schwingt, mochte sie besonders.
weiter war sie sehr sparsam: sie kaufte ihre klamotten überwiegend bei aldi oder strickte sie selber; stattdessen bekamen wir enkel oft 50 € zugesteckt, eingewickelt in alufolie, meistens noch ein paar selbstgestrickte wollsocken dazu; hätte sie gewusst, dass mein bruder und ich einen großteil des uns von ihr zugesteckten geldes während des studiums in kneipen trugen, hätte sie ihre kleine rente vielleicht nicht so großzügig an uns verschenkt: oder vielleicht gerade doch: „junge leute sollen spass haben“, war eines ihrer motti.

der letzte besuch: als mein bruder und ich sie dann vor über drei jahren im krankenhaus besuchten, wußten wir zum glück nicht, wie schlecht es ihr zu diesem zeitpunkt schon ging; wie sonst auch lachten wir mit meiner oma, machten witze („wenn du wieder zuhause bist, trinken wir zusammen eine flasche schnaps“) und gingen wie sonst auch ganz normal mit ihr um; heute denke, dass mein bruder und ich ganz schön naiv waren (schließlich ist sie zwei wochen später gestorben); diese unwissenheit aber hat es zu einem schönen letzten treffen werden lassen; mein bruder und ich waren unbeschwert; meine oma spielte mit und war bestimmt auch froh, dass gelacht und nicht getrauert wurde. hätten wir es gewusst, wäre es bestimmt ein trauriger abschied geworden;

ich werde meine oma nie vergessen; sie ist der erste verstorbene mensch aus meinem verwandten- und bekanntenkreis, der mir wirklich wichtig war. Ich vermisse sie und träume noch oft von ihr.
Heute hätte ich vielleicht auch den mut, ihr zu sagen, dass sie für die selbstgestrickten socken mal bessere wolle (und eben nicht die billigste) verwenden solle. Diese kratzigen dinger sind fast untragbar. Aber was nimmt man nicht alles in kauf, um die erinnerung an einen geliebten menschen wach zu halten.

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