Donnerstag, 7. November 2013

zu recht kinderfeindlich?

Ich sitze im zug. Neben mir, also nur einen meter entfernt, sitzt eine unterschichtsmutter mit hässlicher brille und blondgefärbter kurzhaarfrisur. Und ihr quengeliger sohn, ca. 9 jahre alt. Der sohn hat es noch nicht gelernt, sich ordentlich zu benehmen. Und wird es meines erachtens nach wohl auch nie lernen. Er schmatzt mit seinem kaugummi, tritt vor die sitze und kann trotz dauer-nutzung seines nintendo-DS seine klappe einfach nicht halten. Er brüllt, schreit oder kommentiert lautstark sein Gezocke. Die mutter lässt ihn gewähren und unternimmt nichts. Je länger das krakelen dieses kleinen scheißers dauert, um so gereizter werde ich. Gern würde ich beiden in ihre hässlichen fressen schlagen. Ihnen sauberkeit, ordnung und disziplin einhämmern. Nein, eher rücksichtnahme.
Der kleine scheißkerl hört nicht auf zu nerven. Und ich kann nicht lesen. Als er zur toilette muss und das auch dem ganzen zugabteil mitteilt, überlege ich, hinterher zu gehen und seinen kopf ins klobecken zu drücken. Dann betätigte ich die spülung so lange, bis der kleine pisser keinen mucks mehr von sich gibt. Ok, ein leises winseln ließe ich ihm durchgehen. Dieser gedanke heitert mich ein wenig auf.
Es heißt ja immer, dass deutschland ein kinderfeindliches land sei. Das erscheint mir aber angesichts solcher nervernsägen absolut gerechtfertigt.
Ohne erkennbaren grund ist das scheiß-blag auf einmal still. Als könnte er gedanken lesen. Das macht er bestimmt nur, um mich von dieser hetzerischen geschichte abzubringen, denke ich, während ich diese sätze voller wut in meinen notizblock kritzle.
Los, du kleiner scheißer, mach wieder krach wie vorher, sonst muss ich noch darüber nachdenken, ob diese geschichte gerechtfertigt ist. Auch diese nachricht kommt bei ihm – vielleicht per telepathie – an und er randaliert wieder los. Danke dafür.
Manchmal lese ich, dass heutzutage viel zu viele kinder mit medikamenten, bspw. Ritalin, ruhig gestellt werden. Ja? Warum ist dann dieser zappelphilipp nicht bis oben hin mit dem zeug abgefüllt?
Das zugabteil wird voller. Gegenüber der mutter mit nervensäge nehmen vater und sohn platz. Der sohn müsste auch so um die neun jahre alt sein. Der sohn trägt einen hannover-96-schal. Auch sonst sind sie eher bescheiden, fast ärmlich angezogen. Der sohn ist sehr blass. Er sagt kein wort. Und macht keinen krach. Ganz still sitzt er da. Ab und zu guckt er ängstlich, vielleicht neidisch auf die nintendo-DS seines altersgenossen. Sein vater hat etwas an sich, was mich sofort für ihn einnimmt. Große braune verletzliche augen. Von ihm geht eine bescheidenheit, schüchternheit und genügsamkeit aus, die mich rührt. Vielleicht auch eine tiefe verletztheit. Über seine meinerseits vermutete verletztheit und verletzlichkeit grüble ich weiter nach: In jungen jahren hat man ihn sicher ordentlich zurechtgestutzt. Ihm beigebracht, mit dem träumen aufzuhören und sich mit dem zu begnügen, was er kriegt. „Lieber den spatz in der hand als die taube auf dem dach“ und dieser ganze mist.
Ich beobachte den vater weiter. Jetzt meine ich auch eine gewisse vorfreude aufs fußballspiel und ein bißchen stolz in seinen augen zu sehen. Stolz, dass er mit seinem sohn etwas so tolles macht, wovon er als kind immer nur geträumt hat. Seine kurzen angegrauten braunen haare und sein grauer vollbart lassen ihn nicht etwa verwegen oder altersweise aussehen, sondern unterstreichen noch seine sensibilität, verletztheit und die erduldeten demütigungen. Kommt mir jedenfalls so vor. Immer nur zweiter oder letzter. So gut wie nie sieger oder erster, geht mir durch den kopf. Wahrscheinlich hat er irgendwann aufgehört zu kämpfen und alles duldsam hingenommen.
Aber man muss kämpfen, möchte ich ihn anbrüllen. Ohne kampf geht es nicht.
Bescheidenheit ist eine zier? Quatsch. Dieser ganze mist mit genügsamkeit und demut gehört doch nur zu den unterdrückungsmechanismen der christlichen kirche, die lieber folgsame schafe als freidenkende menschen im gottesdienst sitzen hat.
Jetzt spricht er zu seinem eingeschüchterten sohn. Er hat auch noch eine ganz leise, ja fast zarte stimme. Eine stimme, die beschwichtigen und nicht herausfordern soll.
Außerdem sind seine gesten und bewegungen ruhig und bedächtig. Bloß nicht auffallen, bloß nicht anecken, kommt mir in den sinn.
Man muss kämpfen, muss sich wehren, darf konflikten nicht aus dem weg gehen, sich nicht unterwerfen oder klein machen, denke ich weiter. Und meine damit nicht nur ihn, sondern auch mich.
Auch wenn ich vorher über die mutter mit sohn so geschimpft habe, gefällt mir der ihnen nun gegenübersitzende gegensatz auch nicht. Laut und rücksichtslos auf der einen und still und eingeschüchtert auf der anderen seite.
Frustriert und verunsichert sacke ich in mich zusammen, beiße, in der hoffnung auf trost, in mein belegtes brötchen und stelle meinen beschuhten fuss auf das gegenüberliegende sitzpolster. Sollte mich der kontrollierende zugbegleiter deswegen zurechtweisen, werde ich kämpfen. Zumindest nehme ich mir das vor.

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