Montag, 21. Oktober 2013

unruhe im hörsaal

Montagmorgen, 8 uhr. Ich sitze in einem vorlesungssaal. Relativ groß. Vielleicht 500 sitzplätze. Knapp die hälfte der plätze sind besetzt. Sieht eigentlich noch genauso aus wie zu meinen studienzeiten. Verschlafene studenten, überwiegend mit collegeblock und kugelschreibern unterwegs, wenige laptops. Vorne steht eine vergleichsweise junge professorin, mitte vierzig, halblange haare, strickjacke und jeans und versucht sich beliebt zu machen. Erzählt locker, flockig von ihrem werdegang und dass sie eigentlich nur aus versehen professorin geworden ist. Weil damals keine passende lehrerstelle für sie frei gewesen sei. u.a. aufgrund ihrer fächerkombination. Schön tief stapeln, denke ich; damit macht man sich beliebt. Die jungen grünschnäbel vor mir glauben ihr diesen quatsch vielleicht noch. Ich nicht mehr. Wer einmal erlebt hat, wie viel arbeit in einer promotion und anschließenden habilitation steckt, der weiß, dass keiner aus versehen auf einem uni-lehrstuhl landet. Selbst nach abschluß der habil-schrift muss man noch unzählige hände schütteln, förderern in den arsch kriechen und sich auch sonst lieb kind machen, dass man in so einem fall eines beruflichen karrieresprungs nicht von einer verlegenheitslösung sprechen kann. Eigentlich muss man sich, um einen ruf auf eine professorenstelle zu bekommen, permanent in einer badewanne voller gleitgel wälzen, damit auch alles gut flutscht. Also der professoren-anwärter gut rein- oder durchrutscht.
Einige ganz besonders naive im saal haben dann auch ein leuchten in den augen und träumen davon, vielleicht selbst mal als professor vor studenten zu stehen. Kommt mir jedenfalls so vor. Liebe leute, ganz direkt gesagt: vergesst es. Obwohl es jetzt schon 8.20 uhr ist, kommen vereinzelt immer noch verspätete studenten in den saal. Ich gähne und langeweile mich. Um halb neun hat eine blonde, langbeinige studentin ihren auftritt. selbstbewusst stolziert sie mit hochhackigen schuhen, ganz gemächlich, die stufen hoch und setzt sich zu ihrer winkenden freundin. dann beginnt sie mit dieser ein gespräch in zimmerlautstärke. Sie hat ihre haare um den kopf geflochten. wie diese frühere ukrainische ministerpräsidentin julija tymoschenko. Das hat bestimmt lange gedauert, bis die haare so geflochten waren, denke ich. Sie hört nicht auf, sich zu unterhalten.
Ich möchte aufstehen und sie zurechtweisen. „beim nächsten mal kommst du blöde kuh bitte mit einem zeitsparenden pferdeschwanz pünktlich zur vorlesung und stillst dein redebedürfnis vor der veranstaltung“, brülle ich gedanklich in den raum.
dann fällt mir ein, dass es mir ja eigentlich egal sein kann. Dies ist gar nicht meine vorlesung. Was dort vorne gequatscht wird, interessiert mich überhaupt nicht. Ich sitze hier nur, um für eine freundin die anwesenheitsliste (mit ihrem namen) zu unterschreiben. Diese hat zeitgleich eine andere veranstaltung, will aber den kurs, in welchem ich sitze, trotzdem unbedingt belegen. Und ich war so blöd, ihr anzubieten, das für sie zu übernehmen. An einem montagmorgen.
Schließlich kommt die anwesenheitsliste zu mir; gekonnt kritzle ich den fremden namen aufs papier, denke dabei an urkundenfälschung, reiche den zettel weiter und nehme meine jacke, um den saal zu verlassen. Meine banknachbarn müssen aufstehen, damit ich an ihnen vorbeigehen kann. Das ist mit einiger unruhe verbunden. Ich ernte böse blicke. Schuldbewusst und mit eingezogenen schultern steige ich die zum ausgang führenden stufen herab. Dank meiner glatten sohlen rutsche ich beinahe aus, kann mich aber noch an der hörsaalwand abfangen. Ein unterdrücktes gekicher und glucksen geht durch den saal. Die professorin vorne am pult hält in ihrem redefluß inne und sieht mich fragend an. „falsche vorlesung“ sage ich halblaut in ihre richtung und stürze mit hochrotem kopf aus der veranstaltung. Jetzt habe ich die vorlesung wohl noch mehr gestört als die tymoschenko-frisur, denke ich. Und nehme mir vor, in zukunft anderen keinen gefallen mehr zu tun.

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