Mittwoch, 30. Oktober 2013

im zug mit fußballfans

Herbstlandschaft: bunte blätter, gepflügte äcker, grün-braune wiesen, wolkenverhangener grauer himmel. Das ist aus meiner sicht ebenso typisch für deutschland wie grölende fußballfans in hauptbahnhöfen. Ich sitze mal wieder im zug. Vor, hinter und neben mir sitzenden biertrinkende, uniformierte fußballbegeisterte. An manchen samstagen gehört ein großteil der regionalzüge ihnen. Mancher waggon wird dann gar vor lauter vorfreude oder nervosität glatt entglast, also die scheiben aus dem inneren des waggons während der fahrt kaputt geschlagen. Vielleicht wollen sie aber auch nur effektiver lüften. Es gibt wohl nichts auf der welt, dass so stinkt, wie ein vollbesetztes bahnabteil mit besoffenen, ungewaschenen und verschwitzten fußballfans. Ein großteil der schuld daran dürften die (teilweise noch nie gewaschenen) polyester-trikots haben. Wer kennt es nicht: mehrfach durchgeschwitzte kunstfaser hat einen beißenden geruch. Der fan selbst kann allerdings oft nichts dafür. Haben doch die unterschriften geliebter spieler ein waschen des trikots für alle zeit unmöglich gemacht.
Ich komme unbeabsichtigt mit meinem sitznachbarn ins gespräch: er, vielleicht mitte fünfzig, grauer schnäuzer und fleischbadekappe, trägt ein bochum-trikot, einen bochum-schal und eine aus der form geratene bochum-baseballcap. Ein weißer salzrand hat sich wohl über jahre an der schirmmütze nach und nach hochgearbeitet. Unterschriften sehe ich auf der mütze keine. Es gibt also eigentlich keine ausrede fürs gelegentliche waschen. Wir reden ein bißchen über seinen verein, also bochum, peter neururer und die mannschaft. D.h. er erklärt und klärt mich auf. Nach 15 minuten monolog seinerseits und unsicherem kopfnicken meinerseits fühle ich mich unter zugzwang und will nun auch etwas sagen. Im bereich fußball kenne ich mich aber nur wenig und beim vfl bochum fast gar nicht aus. Ich frage ihn, ob er frank goosen kenne. Er schüttelt den kopf, denkt nach, schüttelt wieder den kopf und fragt: „bochumer spieler?“ ich sage: „nein, schriftsteller“. Er guckt mich entgeistert an. Schnell schiebe ich nach: „der ist bochumer edel-fan und sitzt bei bochum im aufsichtsrat.“ Ich kann hören, wie es bei ihm im kopf zu arbeiten beginnt; um zeit zu gewinnen, nimmt er erst mal einen großen schluck dosenbier. „goosen, goosen, … frank?, goosen?“ schließlich liefert seine auf hochtouren laufende kopfmechanik ein ergebnis: „ja nee, es gibt da einen im aufsichtsrat, aber der heißt anders, so ähnlich. Muss ne verwechslung sein. `n Schriftsteller im bochumer aufsichtsrat. Das wär ja was.“ Ich bin mir relativ sicher, dass der schriftsteller frank goosen im bochumer aufsichtsrat sitzt; könnte dies auch mittels iphone und wikipedia problemlos überprüfen, komme zum glück aber wieder rechtzeitig zu sinnen und sage diplomatisch: „vielleicht hab ich da die beiden einfach verwechselt.“ Zufrieden lehnt er sich wieder zurück, nimmt einen schluck bier und seine gesichtszüge und gehirnwindungen entspannen sich wieder.
Was bin ich doch für ein feigling, denke ich. Ich hoffe, frank goosen, dessen bücher ich wirklich mag, nimmt es mir nicht übel, dass ich es unterlassen habe, gegenüber einem betrunkenen bochum-fan seine ehre, seine existenz, ja seine vereinszugehörigkeit zu verteidigen.
Ich beschließe, jetzt erst mal nichts mehr zu sagen. Mein gesprächspartner scheint auch das interesse an mir verloren zu haben und unterhält sich mit seinem nachbarn.
Boah, ist die luft hier drin stickig. Ich schaue mir durch das zugfenster den herbst an und döse langsam weg. Wenig später werde ich durch blitzlichter geweckt, also geradezu wachgeblitzt. Mein kopf ist auf die brust gesunken und aus meinem tieferliegenden mundwinkel reicht ein langer speichelfaden bis auf meinen pullover. Sehr dicht vor meinem kopf haben sich zwei bochum-fans postiert, links und rechts von mir, und grinsen mit erhobenem daumen und bierflasche in die kamera. Stolz zeigen sie mir danach die aufnahmen und klopfen mir auf die schulter. Ich denke an eine ähnliche geschichte von horst evers.
Das recht am eigenen bild scheint hier drin keine geltung zu haben. Ich bin schon wieder zu feige mich zu wehren. Schließlich kommen wir in hannover an und ich haste zum ausgang. Kurz vorm verlassen des zuges brülle ich noch: „der schriftsteller frank goosen ist bei euch stellvertretender aufsichtsratsvorsitzender. Da ist es ja kein wunder, dass sportlich der abstieg droht.“ Lautstarke unmutsbekundungen erheben sich hinter mir, aber da habe ich den zug schon verlassen.
Am bahnsteig begrüßt mich meine freundin mit einer umarmung und fragt sogleich: „Warum riechst du denn so streng?“

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